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ZfU Zentrum für Unternehmungsführung AG hat sich mit Managing Partner Dominik Imseng über die Nutzung der psychologischen Erkenntnisse der Verhaltensökonomie im Business unterhalten. «Nicht nur Technologie macht das Silicon Valley so mächtig, sondern auch Psychologie», sagt der Autor des erfolgreichen Buchs
«Chief Behavioral Officer».
Herr Imseng, Sie haben ein Buch mit dem Titel «Chief Behavioral Officer» geschrieben. Von so einem Job haben wir noch nie gehört.
Dominik Imseng: Sie haben recht: Dieses C-Level-Mitglied ist hierzulande tatsächlich noch Mangelware. Im angelsächsischen Raum nutzen Unternehmen aber schon seit Jahren die psychologischen Erkenntnisse der Verhaltensökonomie, um ihr Angebot überzeugender, ihr Marketing wirksamer und das Kundenerlebnis attraktiver zu machen. Insbesondere im Silicon Valley sind verhaltensökonomische Abteilungen Standard, und die Analyse der Erfolgsfaktoren von Apple, Netflix oder Uber zeigt: Nicht nur Technologie macht das Silicon Valley so mächtig, sondern auch Psychologie.
Was meinen Sie damit?
Nehmen wir das Beispiel Uber. Bis vor wenigen Jahren war das gewöhnliche Taxi die perfekte Lösung für ein dringendes Problem: Wie komme ich schnell, bequem und sicher von A nach B? Seit Uber ist das traditionelle Taxi nicht mehr die Lösung für dieses Problem, sondern selbst das Problem. Betrachten wir nur einmal den Taxameter. Die Tatsache, dass der Zähler ständig steigt, lässt uns das erfahren, was Verhaltensökonomen «Pain of Paying» nennen. Tatsächlich zeigen Brain-Scans, dass die Schmerzzentren in unserem Hirn aktiviert werden, wenn wir ans Geldausgeben denken müssen. Die Verhaltensökonomen bei Uber haben diesen Schmerzpunkt erkannt und darum dafür gesorgt, dass die App von vornherein klar macht, wie teuer die Fahrt werden wird – egal, an wie vielen Ampeln Sie stehen oder welche Strassensperrungen umfahren werden müssen. Im Gegensatz zu gewöhnlichen Taxis lässt Sie Uber auch nicht im Unklaren, wann der Fahrer kommt, ob er überhaupt kommt und wie lang die Fahrt dauern wird. Denn die Verhaltensökonomie weiss: Wir Menschen hassen Unsicherheit. Ein psychologisches Phänomen, das als «Ambiguity Aversion» bekannt ist. Sie sehen: Wenn Unternehmen wissen, wie Menschen ticken, dann können sie darauf aufbauend attraktive neue Angebote entwickeln und mitunter, wie im Fall von Uber, ganze Branchen umkrempeln.
Sind verhaltensökonomische Erkenntnisse vor allem bei der Produktentwicklung relevant?
Nicht nur. Bei smartcut consulting zeigen wir Unternehmen auch auf, wie sie dank «Anchoring» die Zahlungsbereitschaft von Kunden erhöhen, dank «Choice Architecture» Kaufentscheidungen beeinflussen oder dank der «Peak-End Rule» mit wenig Aufwand das Kundenerlebnis optimieren können. Besonders wichtig scheint mir auch, dass Unternehmen mit den Erkenntnissen der Verhaltensökonomie ihre Innovationskraft stärken, weil sie kognitive Verzerrungen wie z.B. den «Negativity Bias» oder den «Status Quo Bias» überlisten können.
Gibt es einen psychologischen Effekt, den Sie besonders businessrelevant finden?
Ich picke mal den «Decoy Effect» heraus. Vor einigen Jahre machte das Wirtschaftsmagazin «Economist» potenziellen Lesern folgendes Angebot: ein Online-Abo für 59 Dollar oder ein kombiniertes Print- und Online-Abo für 125 Dollar. Das Resultat: 68 Prozent der Neuabonnenten wählten das Online- und nur 32 Prozent das Kombi-Abo. Als unter Berücksichtigung verhaltensökonomischer Erkenntnisse eine dritte und vermeintlich unsinnige Abo-Option eingeführt wurde – ein reines Print-Abo zum Preis des Kombi-Abos –, wählten auf einmal 84 Prozent der Neuabonnenten das Kombi- und nur noch 16 Prozent das Online-Abo. Für den «Economist» erhöhte sich so der durchschnittliche Verkaufspreis pro Abo von 80 auf 114 Dollar, also um satte 43 Prozent. Nicht schlecht für eine Aktion, die überhaupt nichts gekostet hat.
Was hat Sie persönlich motiviert, dieses Buch zu schreiben?
Schon als kleiner Junge war ich vom Phänomen der Hebelwirkung fasziniert – wie man mit kleinen Kräften grosse Kräfte bewirken kann. Die erfolgreichen Projekte von smartcut consulting zeigen: Auch Unternehmen können Hebel nutzen, um mit weniger Aufwand mehr zu erreichen – ob bei der Unternehmens- und Produktentwicklung, im Marketing oder beim Kundenerlebnis. Tatsächlich bringt der Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler den Effekt der Nutzung verhaltensökonomischer Erkenntnisse wie folgt auf den Punkt: «Überdimensionale Resultate für unterdimensionierte Investments». (14.04.2022)