NZZ am Sonntag:
Gastbeitrag
Information ist nicht gleich Motivation
Wenn sich unser Energieverbrauch nachhaltig verringern soll, braucht Bundesbern mehr psychologisches Geschick. Menschen lassen sich nicht einfach so umprogrammieren. – Von Dominik Imseng, Managing Partner bei smartcut consulting
(NZZ am Sonntag, 25. September 2022)
Kaum ist unser Gesundheitssystem wegen Corona fast kollabiert, droht schon die nächste Katastrophe: der mögliche Zusammenbruch unserer Energieversorgung im Winter.
Um einem Blackout entgegenzuwirken, läuft aktuell eine millionenschwere Kampagne des Bundes, die der Bevölkerung und der Wirtschaft zeigen soll, wie einfach Energiesparen geht («Backofen nicht vorheizen», «Kaffeemaschine ausschalten», «Geschirrspüler ganz füllen»). Der Kampagnen-Slogan: «Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht.»
Eine einleuchtende Botschaft, die gerade darum komplett ungeeignet ist, den Energieverbrauch der Schweiz nachhaltig zu senken. Denn würden Vernunftappelle genügen, um eine Verhaltensänderung zu bewirken, dann gäbe es weder Raucher noch Alkoholiker. Niemand wäre übergewichtig oder spielsüchtig. Es hätte auch niemand Kreditkartenschulden, ja noch nicht mal einen Sonnenbrand.
Besonders die psychologischen Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften könnten dem Bund ermöglichen, eine Energiesparkampagne zu entwickeln, die der Unvernunft und Bequemlichkeit unserer Spezies Rechnung trägt. So gibt es etwa den gut untersuchten «Attitude-Behavior Gap»: Einsicht und Bewusstsein lösen nur selten eine tatsächliche Verhaltensänderung aus – es bleibt beim ewigen guten Willen. Auch der «Present Bias» hält uns davon ab, das Richtige zu tun. Er sorgt dafür, dass uns ein realer, konkreter Nutzen im Hier und Jetzt (z.B. eine heimelig warme Wohnung im Herbst) wichtiger ist als ein potenzieller, abstrakter Nutzen in der Zukunft (z.B. die Versorgungssicherheit der Schweiz im Winter). Ein weiterer Grund dafür, dass die meisten von uns nicht das Licht löschen, wenn sie einen Raum verlassen, ist eine kognitive Verzerrung, die die Verhaltenswissenschaftler als «Plausible Deniability» bezeichnen. Konkret: Je leichter uns eine Ausrede für falsches Verhalten einfällt («Ich komme ja gleich wieder in den Raum mit den vielen brennenden Lampen zurück»), desto eher verhalten wir uns falsch.
Gerade aus Sicht der Verhaltenswissenschaften lässt sich aktuell keine effektive Strategie erkennen, wie Bundesbern den Energieverbrauch unseres Landes nachhaltig senken will. Gewiss: Es sind Kommunikationsziele auszumachen. Es ist offensichtlich, welche Verhaltensänderungen bewirkt werden sollen. Aber eine Strategie definiert neben den Zielen, die es zu erreichen gilt, auch die Hindernisse auf dem Weg dorthin. Und vor allem sieht eine Strategie vor, wie diese Hindernisse konkret überwunden werden können.
Als es Mitte der 1980er-Jahre darum ging, dass sich die Schweizer Bevölkerung mit Kondomen vor Aids schützt, hatte Bundesbern eine Strategie. «Ich verwende nie Kondome, weil sie die Stimmung verderben», lautete damals z.B. oft die Begründung für ungeschützten Geschlechtsverkehr. Oder: «Ich verwende nie Kondome, weil sie ohnehin nicht zu 100 Prozent sicher sind.» Trotzdem schaffte es das BAG, aus dem Liebestöter Präservativ einen Lebensretter zu machen.
Möglich wurde dies durch die konsequente Berücksichtigung der psychologischen Widerstände in den Köpfen der Schweizerinnen und Schweizer. So war z.B. für viele Katholiken das STOP-AIDS-Logo mit dem gerollten Präservativ Werbung für den lokalen Swinger-Club. Statt auf die Vermeidung einer Infektion durch Monogamie hinzuweisen, propagierte Bundesbern in den Augen gläubiger Christen nur den mechanischen Schutz durch Kondome. Das BAG reagierte souverän auf die Kritik aus religiösen Kreisen und schaltete Plakate, in denen das Kondom im STOP-AIDS-Logo durch einen Ehering ersetzt wurde. So war die Kirche wieder im Dorf. Und die romtreuen Walliser und Tessiner schützten sich fortan auch.
Verglichen mit der Kreativität und dem psychologischen Geschick der STOP-AIDS-Kampagne («Im Minimum en Gummi drum», «Ohne Dings kein Bums», «Und röllele und röllele …») schneidet die aktuelle Energiesparkampagne des Bundes schlecht ab. Gefordert ist eine Kommunikation, die nicht auf die blosse Auflistung von Verhaltensregeln setzt (das könnte jede Compliance-Abteilung einer Grossbank auch), sondern der menschlichen Bequemlichkeit und Unvernunft Rechnung trägt.
Verhalten ist nicht das Produkt von Programmierzeilen, die sich nach Belieben ändern lassen. Information ist nicht gleich Motivation. Der Mensch ist kein hochvernünftiger Mister Spock, sondern ein unvernünftiger Homer Simpson.
Was clevere Marketer wissen, sollte endlich auch in Bundesbern ankommen. Bis dahin bleibt jede Kampagne gegen Energieverschwendung Geldverschwendung.