NZZ am Sonntag:
Gastbeitrag

Irren ist und bleibt menschlich

Wir sollten die Unvernunft von Verschwörungs­theoretikern als Aufforderung betrachten, unsere eigenen kognitiven Verzerrungen in Schach zu halten. Davon würden insbesondere Wirtschaft und Politik profitieren. – Von Dominik Imseng, Managing Partner bei smartcut consulting

(NZZ am Sonntag, 12. September 2021)

Stellen Sie sich vor, Sie sind der Torwart einer Fussballmannschaft in einem Champions-League-Final. Die gegnerische Elf darf einen Penalty schiessen. Der Match dauert noch fünf Sekunden, bei gleichem Spielstand. Geht der Ball ins Netz, hat Ihr Team verloren.

Der gegnerische Spieler legt sich den Ball zurecht, macht ein paar Schritte zurück, rennt los. Noch bevor er den Ball trifft, müssen Sie sich entscheiden: Hechten Sie in die linke Ecke oder in die rechte?

Die Wahrheit ist: Die grösste Chance, den Penalty zu halten, haben Sie dann, wenn Sie in der Mitte stehenbleiben und die Arme weit ausbreiten. Allerdings besitzen nur die wenigsten Torhüter den Mut, in Übereinstimmung mit dieser statistischen Wahrscheinlichkeit zu handeln. Sie hechten lieber nach links oder rechts, weil sie nicht – wortwörtlich – dumm dastehen wollen, wenn der Schütze in eine der beiden Ecken zielt.

Die Tendenz, Massnahmen zu ergreifen, obwohl Nichtstun klüger wäre, nennen Verhaltensökonomen «Action Bias». Und nicht nur Torhüter sind davon betroffen, sondern auch Führungskräfte in Wirtschaft und Politik. Schliesslich wird ja gerade dies von ihnen erwartet – Probleme energisch anzugehen. Tatsächlich aber wäre es oft klüger, wenn sich die jeweilige Führungskraft zuerst fragen würde, ob sie denn auch wirklich, wirklich, wirklich das Richtige tut …

Neben dem «Action Bias» gibt es noch viele weitere irrationale Faktoren, die den Erfolg von Unternehmen oder Behörden verhindern. Dazu gehört z.B. der «Negativity Bias» – unsere angeborene Tendenz, negativen Informationen mehr Gewicht zu geben als positiven. Denn in unserem Gehirn gibt es die Amygdala, die für die Erkennung und Bewertung von Gefahren zuständig ist. Dieser Sensor ist hochempfindlich, vielleicht sogar überempfindlich. Aber ohne Amygdala hätten die frühen Menschen nicht überlebt. Lieber einmal zu oft ängstlich als ausgerechnet dann wagemutig, wenn sich eine verführerische unbekannte Beere als giftig erweist.

Auch heute noch sorgt die Amygdala dafür, dass wir jede Form von Veränderung als potenziell gefährlich betrachten. Und darum auf innovative Ansätze oder Methoden zuerst einmal ablehnend reagieren. Das Dumme ist: Derselbe «Negativity Bias», der unseren Vorfahren zu überleben half, gefährdet heute die Innovationskraft von Unternehmen oder die Effizienz von Behörden.

Eine Gefahr, die auch vom «Sunk Cost Bias» droht, unserer irrationalen Tendenz, weiterhin Zeit und Geld in Projekte zu stecken, von denen eigentlich klar ist, dass sie zum Scheitern verurteilt sind.

Eine klassische Case Study, die den «Sunk Cost Bias» illustriert (und zum Glück auch, wie man ihn überwindet), ist die Erfolgsgeschichte von Intel, dem führenden Hersteller von Mikroprozessoren, der einmal der führende Hersteller von Speicherchips war. Da aber in den späten 1970er Jahren die Konkurrenz durch japanische Anbieter immer grösser wurde, orientierte sich Intel 1983 um und produzierte neu Mikroprozessoren statt Speicherchips. Mit riesigem Erfolg.

Doch: Ganz so einfach war dieser Kurswechsel natürlich nicht. Und das aus einem nachvollziehbaren Grund: Seit der Gründung von Intel im Jahr 1968 wurden fast alle Ressourcen des Unternehmens in die Produktion und Verbesserung von Speicherchips investiert. Speicherchips machten die Identität von Intel aus. Entsprechend schwer fiel es, all diese Gelder nun einfach abzuschreiben.

Das Führungsteam von Intel überlistete den «Sunk Cost Bias», indem es sich eine einfache Frage stellte. Nämlich die: «Was würde ein neuer CEO tun: Weiterhin Speicherchips produzieren oder zu Mikroprozessoren wechseln?» Durch die Einnahme dieser Aussenperspektive wurde die richtige Business-Strategie für Intel nicht länger von der Vergangenheit bestimmt, sondern von der Zukunft. Und die liess sich in einen legendären Werbeslogan packen: „Intel inside“.

«Action Bias», «Negativity Bias», «Sunk Cost Bias» – es gibt noch viele weitere kognitive Verzerrungen, die die Entscheidungen von Führungskräften in Wirtschaft und Politik beeinflussen. Und auch die von Ärzten, Richtern oder Ingenieuren (wovon man als Patient, Angeklagter oder Fluggast besser nicht betroffen ist).

Irrationalität ist nicht das Privileg von Coronaleugnern, sondern tief in der menschlichen Natur verankert. Schon die alten Römer klagten: «Errare humanum est.» Irren ist und bleibt menschlich. Betrachten wir darum die Unvernunft der Verschwörungstheoretiker als Aufforderung, unsere eigenen kognitiven Verzerrungen in Schach zu halten. Als Anstoss für eine umfassende Impfaktion gegen Irrationalität könnte diese leidige Pandemie vielleicht doch etwas Gutes haben.

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